Namur: hoch leben die bonvivants

Nicht nur die petit-grits namurois gibt es hier, sondern eine Vielfalt an regionalen Bieren, Süßigkeiten und vieles andere mehr. Ein kleiner Stadtspaziergang durch die Hauptstadt der Wallonie.

In Namur sind die petit-grits eine ganz besondere Schneckenspezialität / Foto: https://www.fermeduvieuxtilleul.be
In Namur sind die petit-grits eine ganz besondere Schneckenspezialität / Foto: https://www.fermeduvieuxtilleul.be

Namur wird auch das Klein-Lyon an der Maas genannt. Hier soll sich auch das Leben genussvoller abspielen als in Frankreich. Wer Namur mit seinen etwa 110.000 EinwohnerInnen besucht, kann sich über hervorragende lokale Spezialitäten erfreuen, wie Käse, Senf, Schnecken, edlen Produkten von Entenfleisch, Konfitüren, Confiserie, Spezial- und Abteibieren, Karamellbonbons (Biétrumé) und neuerdings wieder Weinen von den Hängen des Maastals. So manche Franzosen machen sich auch lustig über den schon etwas eigenartigen Zungenschlag der Namurer, die einige Wörter sehr langziehen und so die Sprechgeschwindigkeit scheinbar verlangsamen.

Entlang der Sambre, rechts die Zittadelle / Foto: Leon Petrosyan, Wikipedia
Entlang der Sambre, rechts die Zittadelle / Foto: Leon Petrosyan, Wikipedia

 

In Namur bedeutet gehobene Gastronomie kein steifes Zeremoniell. Sie verleiht dem Alltag die gewisse Würze und Lebensfreude. Hier feiert man mit volkstümlichem und wallonischem Esprit. „Viv Nameur po tot“ — es leben die Namurois, die Bonvivants. Namur ist ein Glücksfall für GenießerInnen, aber auch für Flaneure. Letztere können eine Besichtigung der Stadt, die architektonisch und auch kulturell ebenso viel zu bieten hat, ganz oben beginnen — auf der mächtigen Zitadelle auf dem Hügel Champeau.

Die Silhouette Namurs im Schatten der mächtigen Festungsanlagen über dem Zusammenfluss von Maas und Sambre könnte die Schöpfung eines Bildhauers sein. Ab dem 16. Jahrhundert wuchs Namur zur bedeutenden militärischen Bastion und zur größten Festungsstadt Europas. Viele Zerstörungen zogen einen umfangreichen Wiederaufbau im 18. Jahrhundert nach sich, den das heutige Stadtbild wiedergibt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie als Hauptstadt der Wallonie eine prosperierende Stadt voller Kultur, Geschichte und moderner Elemente.

 

Blick über die Maas auf die Zitadelle mit wallonischem Parlament / Foto: Jean-Pol GRANDMONT
Blick über die Maas auf die Zitadelle mit wallonischem Parlament / Foto: Jean-Pol GRANDMONT

Die Zitadelle war seit ihrer Erbauung stets vom Militär genutzt, bis 1978. Seitdem ist sie dem Tourismus vorbehalten. Besichtigt werden können die unterirdischen Gänge (sieben Kilometer) und verschiedene Ausstellungsräume der Artillerie. Neu ist das touristische Informationszentrum Terra Nova in der ehemaligen Kaserne. Es zeigt anhand der Geschichte von Namur und seiner Zitadelle 2000 Jahre europäische Stadt- und Militärgeschichte.

Die Festung zu durchstreifen, offenbart so manche Entdeckung. Vor allem, wenn man an der Schwelle zum Showroom einer Parfüm-Manufaktur ins Staunen gerät. Hier ist seit 1990 das Refugium von Guy Delforge, dem Schöpfer feiner Essenzen aus Namur. Er hat die alte Offiziersmesse restauriert. Die Parfüms entstehen und reifen in den ehemaligen Kasematten der Zitadelle aus dem 16. Jahrhundert, die man auf einem Rundgang besichtigen kann.

Wer fit genug ist, kann den Weg auf die Festung zu Fuß beschreiten oder auch mit dem Shuttelbus vom Zentrum hinauffahren. In jedem Fall haben wir von der Terrasse des Lokals „Le Panorama“ einen fantastischen Fernblick bis weit hinunter ins Maastal Richtung Wépion.

Der zentrale Place Marché aux Légumes ist der Treffpunkt Jung und Alt.
Der zentrale Place Marché aux Légumes ist der Treffpunkt Jung und Alt.

Unten in der Altstadt brummt es derweil auf den meist autofreien Plätzen. Die Place Marché aux Légumes ist ein Treffpunkt aller Generationen. Café reiht sich an Café, Terrasse an Terrasse. In den Gassen ringsum schicke Läden, kleine Restaurants und Bistros. Frankophones Urlaubsflair umgibt uns BesucherInnen, man riecht es förmlich. Während der Essenzeit, die hier länger geht als anderswo, duftet es herrlich aromatisch aus den Küchen und guten Stuben.

 

Auf dem Place d’Armes richtet sich der Belfried Namurs hinter dem Gebäude der Börse auf, gekrönt von einem Campanile mit Zwiebelspitze. Der einst bedeutendste Wehrturm der dritten Stadtmauer erhielt erst 1746 seine Bestimmung zum Glockenturm. Einige Schritte weiter eröffnet sich das Théâtre Royale aus dem 19. Jahrhundert. Seinen Charme bestimmen vor allem das neo-klassische Eingangsportal, das Foyer und der blendend schöne Innenraum mit dem imposanten Kuppelgemälde.

Von hier aus erreicht man in wenigen Minuten das Archäologische Museum auf der Rue du Pont, direkt an der Sambre. Es ist in der ehemaligen Fleischhalle, einem Gebäude im Stil der Maas-Renaissance, untergebracht. Von dort erblickt man auf einem Spaziergang entlang der Rue des Brasseurs wieder die Festung. Gegen Ende der Straße geht es rechts ab in die Rue Fumal. An Nummer 12 steht das Museum Félicien Rops.

Das umfassende Werk von Félicien Rops (1833-1898), Maler, Provokateur und Störenfried, ist in den Räumen des interessanten Bürgerhauses aus dem 19. Jahrhundert ausgestellt. Die Rue Fumal stößt auf die Rue de Collège. Die Kirche St. Loup aus dem 17. Jahrhundert im Barockstil mit üppigen Innendekors und Hochreliefs fällt allein schon durch ihre schöne Fassade ins Auge. Im Innern schmücken reich ausstaffierte Marmorarbeiten aus rotem (Rochefort) und schwarzem (Mazy) Marmor sowie die Deckenverzierungen aus Mergelstein das Gotteshaus.

 

Über die Rue de Collège führt der Weg zur Place Saint-Aubain. Hier steht die Kathedrale Saint-Aubain, deren Kuppel eines der markantesten Bauwerke der Stadt ist. In diese Kirche sollte man unbedingt hineingehen. Sie wurde 1047 durch den Grafen von Namur, Albert II., gegründet. Ursprünglich nur Stiftskirche, erhielt sie 1559 während der Regentschaft von Philipp II., König von Spanien, den Rang einer Kathedrale, als Namur zum Fürstbistum aufstieg.

Federführender Architekt für das heutige Bild der Kirche war Gaetano Matteo Pisoni, der sie zwischen 1751 und 1767 umgestaltete. Das Schiff wird von einem Gewölbe überspannt, das mit goldenen Sternen und Pflanzenmotiven dekoriert ist. Die Seitenschiffe tragen kleine Kuppeln aus Stuck, und die Vierung wird von der gewaltigen Kuppel überragt — ein kleiner Petersdom.

Kathedrale von Namur Saint Aubain / Fotocredit: links: Jean-Pol GRANDMONT, Mitte:  © CEphoto, Uwe Aranas, rechts:  Benoit1972

Etienne de Hucornes Dessert-Kreationen / Foto: Pixfactory
Etienne de Hucornes Dessert-Kreationen / Foto: Pixfactory

Namur ist mit seinen 300 kleinen Geschäften nicht nur ein bevorzugtes Einkaufsziel, sondern auch ein Tipp für FeinschmeckerInnen und vor allem süße GenießerInnen. Beim Maison des Desserts weist bereits der Name auf die köstlichen Kreationen hin: kleine Schokoladentorten und Kuchen in vielen Variationen sind in dem quirligen Kaffeehaus in der Rue Haute Marcelle eine süße Sünde wert.

Die Spezialität von Chocolatier und Konditormeister Etienne de Hucorne sind jedoch die Biétrumés-Karamellbonbons, die nach einem überlieferten Familienrezept aufwendig in reiner Handarbeit hergestellt werden. In einem großen Kupferkessel wird die Karamellmasse noch von Hand gerührt. 

 

Nur ein paar Schritte weiter in der Rue de Fer ziehen die Kreationen von Galler Pralinen- und Schokoladenfans magisch an: Pralinen mit Currygeschmack oder Honigkuchenpralinen - die Varianten scheinen endlos. Chocolatier Jean Galler führt das Familienunternehmen in der dritten Generation. Seine Vorfahren waren Bäcker, aber seit 1976 hat sich seine Familie ganz auf Pralinen und feine Schokoladen konzentriert.  

Nach den Ausflügen tagsüber laden am Abend quirlige Brasserien, feine Gourmetrestaurants und die hübschen Straßencafés im Schatten der St.Jean-Kirche in Namurs barocker Altstadt zur Einkehr, etwa in der Brasserie Francois.