Wandelgänge durch das Herz der Provence

Wir wanderten durch beinahe menschenleere Landstriche, durch ausgedehnte Eichenwälder, vorbei an kleinen Städten, in denen das Mittelalter noch präsent ist. Eine Spurensuche nach dem ursprünglichen Frankreich.

Die kleine Stadt Bonnieux mit seinen heute 1500 EinwohnerInnen machte einen freundlichen und entspannten Eindruck auf uns.
Die kleine Stadt Bonnieux mit seinen heute 1500 EinwohnerInnen machte einen freundlichen und entspannten Eindruck auf uns.

Bonnieux, Apt, Boux oder Saignon, um nur einige Orte am Fuße des Luberon-Massivs zu nennen, waren vor mehr als 900 Jahren wohlhabende Kleinstädte und Dörfer inmitten einer trockenen und kargen Landschaft. Zeugen dieser spätmittelalterlichen Hochblüte sind noch überall gegenwärtig. Doch heute haben die hier lebenden Menschen Mühe an die globalisierte Wirtschaft Anschluss zu finden. Abwanderung, hohe Arbeitslosigkeit bestimmen den Alltag der BewohnerInnen. Viele - vor allem junge Menschen - wandern ab ins Rhone-Tal, nach Marseille oder nach Paris, um dort ausbildungsadäquate Arbeitsplätze zu finden. Weil sich hier keine moderne Industrie entwickeln konnte, blieb viel übrig von der Ursprünglichkeit der Landwirtschaft. Durch die Einrichtung des Naturparks Luberon konnte diese weitläufige Natur- und Kulturlandschaft, so wie sie sich über die Jahrhunderte entwickelt hatte,  erhalten werden.

 

Kirchen aus dem 10. und 11. Jahrhundert, alte Verbindungswege und - heute frisch renovierte - jahrhundertealte Steinhäuser zeugen von der langen Geschichte dieser Gegend. Städte, wie Bonnieux haben sich im 14. Jahrhundert rechtzeitig für die katholischen Herrscher und gegen die reformerischen Waldenser entschieden. Zum Dank wurden die Kleinstädte wirtschaftlich bevorzugt und profitierten vom anwachsenden Handel.

 

Wir wanderten von Dorf zu Dorf auf jahrhundertealten Wege, die mit Steinen befestigt wurden. Wegen ihrer massiven Bauweise konnten die Karrenwege die Jahrhunderte überdauern. Zu Mittag genossen wir die Pausen am Dorfbrunnen, der in vielen Dörfern noch Teil der Trinkwasserversorgung ist. Wir kehrten ein in kleine Bistros oder oftmals in die einzige noch übriggebliebene Boulangerie (Bäckerei). Das milde und sonnenreiche Spätsommerklima hat sicherlich damit zu tun, dass die Menschen hier relativ entspannt sind und immer wieder Zeit fanden für einen kurzen Tratsch mit uns.

 

Die Landschaft am Fuße des Luberon Gebirges ist gegenwärtig fast menschenleer. Weitläufige Eichenwälder wachsen vor allem an den Rändern der Luberonberge, die sich zwischen 600m und 1125 m Seehöhe hinaufziehen. Dazwischen kamen wir immer wieder vorbei ein vereinzelten Gehöften, rochen an den Resten der stehengebliebenen Rändern der Lavendelfelder und stibitzten so manche reife Trauben aus einem der Weingärten.

 

Nach den insgesamt mehr als hundert Kilometer langen Wanderungen  verstehen wir, wieso dieser Landstrich vor allem bei den GroßstädterInnen aus Paris, Lyon oder London so beliebt sind. 

Wer hier verweilt, wird schon nach wenigen Tagen erfasst vom anderen Zeitgefühl, aber auch von der Ruhe, die dieser entlegene Landstrich ausstrahlt.  Nicht umsonst hat in der Nachbarregion der derzeit wohl umstrittenste französische Schriftsteller Michel Houllebecq Nachschau nach dem echten Frankreich gehalten. Er wollte herausfinden, worin denn nun die französische Kultur, die er vom Islam bedroht sieht, im Innersten besteht. Doch dieses ursprüngliche  Frankreich (von dem auch  Marie Le Pen so gerne träumt) gibt es zum Glück heute nur mehr den Köpfen starrsinniger NationalistInnen und nicht im Herzen der Provence.