Wildnisgebiet Dürrenstein

der duft der wildnis

Die vielen liegenden Baumstämme sind von Moosen und Flechten bedeckt, aus diesen wiederum treiben kleine Buchen und Fichten aus und dazwischen wachsen Stauden und Farne. Wir haben auch den letzten Urwaldrest im  Alpenbogen besucht und etwas vom Duft der Wildnis gespürt.

Zu riechen gab es hier, wo alles auf allem wächst, einiges. Die vielen liegenden Baumstämme sind von Moosen und Flechten bedeckt, aus diesen wiederum treiben kleine Buchen und Fichten aus und dazwischen wachsen Stauden und Farne. Altersschwache, in sich zusammengestürzte Baumgestalten vermodern am feuchten Waldboden.

 

 Es riecht nach Pilz, nach Nadeln, holzig und harzig, nach frischem Humus, irgendwie grün. Groß, klein, dünn, dick, alt und jung, abgebrochen, vermodernd – eine unglaubliche Mischung an Holzgebilden, die sich da zeigt: Zerfranste Baumstammriesen bilden bizarre Formen, tief zerfurchte Rinden, die durch die vielen großen Baumschwämme aussehen wie verbeult, während Buchen, Fichten und Tannen meterhoch in den Himmel ragen und mit ihren Blättern und Nadeln dafür sorgen, dass es im Wald doch recht dunkel bleibt. Baumriesen werden hier bis zu 63 Meter hoch, erzählt uns Reinhard Peckny und rund sechs- bis siebenhundert Jahre alt. Totholz liegt und steht herum, es speichert Wasser und ist für die unterschiedlichsten Organismen lebenswichtig. So beherbergt ein toter Baum wesentlich mehr Lebewesen als ein lebender, 95 Prozent aller Fichten des Urwaldes wachsen daraus. Stirbt ein Baum – das Absterben dauert oft mehrere Jahre – gibt er Kohlenstoff an die jungen Bäume, die auf ihm wachsen, weiter. Kadaververjüngung nennt Peckny diesen Vorgang. Nachdem er abgestorben ist, steht der Baum meist bis zu hundert Jahre weiter da. Und an die tausend Jahre dauert es, bis er ganz verschwunden ist....

Ein Streit zwischen drei Klöster war ausschlaggebend, wieso ein Teil des Waldgebiets am Fuße des Dürrensteins nie abgeholzt wurde. Nach dem der späterer Besitzer Albert Rothschild dieses Waldstück ebenfalls im Urzustand beließ, bleib der Rothwald die letzte größere Waldfläche in Österreich, die als Urwald bezeichnet werden kann. Immerhin vier Quadratkilometer groß ist sie und heute Kernstück des Wildnisgebietes, das zur Zeit noch 35 Quadratkilometer umfasst. Im Oktober 2019 haben wir wieder Gelegenheit bekommen ein Stück hinein in den Urwald zu gehen.

 

Nur etwa 500 Menschen im Jahr ist es erlaubt, niederösterreichische Urwaldluft zu schnuppern. Denn dieses Gebiet steht unter der höchsten Schutzstufe und darf nur von einer limitierten Anzahl von Menschen betreten werden. Alle paar Jahre bekommen wir die Genehmigung dafür in Begleitung eines Rangers des Gebiet zu betreten.

 

Bereits 1875 stellte Albert Rothschild den, nach ihm benannten, Wald im Wildnisgebiet Dürrenstein unter Schutz vor jeglichem menschlichen Eingriff. Schon damals erkannte Rothschild, wie wichtig es ist, die Natur von Eingriff und Zerstörung zu schützen. Bäume, Sträucher und Pflanzen wachsen hier seit nahezu 12.000 Jahren in ihrer natürlichen ursprünglichen Form und das komplette Ökosystem regelt sich ohne Eingriff des Menschen von selbst. Es wird kein bestimmter Zustand konserviert, sondern die natürlichen Prozesse dürfen und sollen weitestgehend ohne Einfluss des Menschen ablaufen. Seit 2017 gehören 50 Prozent des gesamten Wildnisgebietes Dürrenstein zum UNESCO Weltnaturerbe.

Zunächst streiften wir durch ein benachbarten Waldstück, das seit der Eiszeit nur ein Mal – das war vor etwa 300 Jahren – bewirtschaftet wurde. Unser Begleiter Reinhard Peckny sprach von der „ersten Generation nach dem Urwald“. Schon in diesem „Fast-Urwald“ bekamen wir eine erste Vorstellung, was Urwald eigentlich ist und welche Dynamiken sich abspielen. 

 

Info zum Wildnisgebiet Dürrenstein

Blick auf einen Teil des Wildnisgebietes Dürrenstein
Blick auf einen Teil des Wildnisgebietes Dürrenstein

Fläche und Lebensräume:

Derzeit insgesamt 35 km2, davon 4 km2 Urwald, 25 km2 naturnahe Wälder, 6 km2 Almen, alpine Rasen, Gewässer, Fels. 2/3 der Fläche wurden von den Österreichischen Bundesforsten und 1/3 von der Forstverwaltung Langau eingebracht. Das Schutzgebiet erstreckt sich zwischen 600 und 1878 m Seehöhe. Der Dürrenstein in den Ybbstaler Alpen ist die höchste Erhebung.

 

Prozessschutz und Nicht-Eingriff:

88% der Fläche sind Naturzone ohne menschlichen Eingriff. Hier wird die natürliche Prozessdynamik zugelassen, der Mensch ist nur Beobachter und Gast. Unser Motto: „Wildnis bewahren und sekundäre Wildnis wieder entstehen lassen“.

 

Urwald Rothwald:

Das 4 Quadratmeter große Herz des Wildnisgebietes Dürrenstein ist eine Primärwildnis und der letzte große Urwaldrest des Alpenbogens (montaner Bergmischwald mit ca. ⅓ Rotbuche, ⅓ Tanne und ⅓ Fichte). Durch Pollenanalysen aus Bodenproben wurde der Urwaldcharakter wissenschaftlich bestätigt. Der Zutritt ist reglementiert und auch die Forschung unterliegt strengen Auflagen. Highlights: • Große Mengen an Totholz. Im Rothwald ca. 300 Vorratsfestmeter Totholz – dem stehen 1100 bis 1200 Vorratsfestmeter Lebendholz gegenüber, d.h. das Verhältnis ist etwa 1:4. • Im Urwald erreichen die Bäume ihr natürliches Maximalalter: Fichten & Tannen bis 600 Jahre, Buchen bis 450 Jahre. Es gibt einzelne „Greise“ unter den langlebigen Eiben und Tannen, die um die 1000 Jahre alt sind.

Hohe Artenvielfalt vor allem bei Organismengruppen, die mit Totholz verknüpft sind (Pilze, Moose, Flechten, xylobionte Käfer…), z.B. ca. 800 Pilzarten, 280 Moosarten. •Außerdem 70 Vogelarten (davon fünf Specht- und vier Raufußhuhnarten), 45 Säugetierarten, durchziehende Luchse, brütende Steinadler, wiederangesiedelte Habichtskäuze. Früher gab es Braunbären im Gebiet, zuletzt 2010. (Quelle: Eckdaten des Wildnisgebietes, Stand 2017.)

 

Fotos und Text: Marco Vanek