Prag

Prag und die verschwundene deutsche literatur

Franz Kafka ist auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag begraben / Fotos: Marco Vanek
Franz Kafka ist auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag begraben / Fotos: Marco Vanek

Prag war einmal eine Stadt, in der es eine lebendige deutschsprachige Gemeinschaft gab, die vor allem von jüdischen Autoren wie Franz Kafka und Max Brod bestimmt wurde. Mit dem Holocaust und der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand aber die abgeschlossene Welt der Literatur.

 

"Wissen Sie, warum sich Franz Kafka und Jaroslav Hašek nie getroffen haben?" fragt Lucie Cernohousova, die Direktorin des Prager Literaturhauses in einer Radiosendung der Deutschen Welle. Das könnte der Anfang eines klugen literarischen Witzes sein oder eine einfache historische Tatsache. Tatsächlich ist es von beidem etwas: "Kafka verbrachte seine Zeit in den Kaffeehäusern und Hašek war vor allem in Kneipen anzutreffen."

 

Parallelwelten

Franz Kafka (1883-1924), Autor von "Der Prozess", und Jaroslav Hašek (1883-1923), Verfasser von "Der brave Soldat Schweijk", schrieben maßgebliche literarische Werke des 20. Jahrhunderts. Sie lebten in derselben Stadt zur selben Zeit und trotzdem haben sich ihre Wege nie gekreuzt: Hašek, der tschechische Schriftsteller par excellence, verbrachte seine Zeit mit Biertrinken in den Spelunken von Žižkov, einem Prager Vorort der Arbeiterklasse. Kafka, ein Jude aus bürgerlichem Hause, sprach zwar fließend Tschechisch, schrieb aber fast nur auf Deutsch. Er lebte in einer Welt der Kaffeehäuser und die prägende Sprache dieser Welt war das Deutsche.

Zeit seines Lebens verließ Franz Kafka kaum Josefov, jenen Stadtteil, wo die meisten Prager Juden und Jüdinnen lebten. Eine Gedenktafel erinnert heute an sein Geburtshaus.
Zeit seines Lebens verließ Franz Kafka kaum Josefov, jenen Stadtteil, wo die meisten Prager Juden und Jüdinnen lebten. Eine Gedenktafel erinnert heute an sein Geburtshaus.

Lange literarische Tradition

Es ist eine ironische Nuance, dass Kafka heute das Aushängeschild der jüdischen Literaten Prags ist, obwohl er selbst nie von seinem eigenen Talent überzeugt war und seinen unveröffentlichten Nachlass nach seinem Tod zerstört haben wollte. Um Kafkas Vermächtnis muss man sich also keine Sorgen machen. Deshalb macht es sich das Prager Literaturhaus zur Aufgabe, die Werke seiner weniger bekannten Kollegen zu erhalten. "Die Tradition der deutschsprachigen Literatur in Prag reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück", erklärt Cernohousova. "Viele Tschechen wissen das nicht. Das Prager Literaturhaus soll zeigen: da existiert eine lange Tradition. Da gibt es ein großes kulturelles Erbe, das mit unserer Kultur verbunden ist – und mit unseren Wurzeln."

Noch kein Wirtschaussterben in Prag: Noch heute gibt es an fast jeder Ecke in der Stadt typische Beisl und Gasthäuser, in denen sich so manche Gegenwartsliterat:innen aufhalten.
Noch kein Wirtschaussterben in Prag: Noch heute gibt es an fast jeder Ecke in der Stadt typische Beisl und Gasthäuser, in denen sich so manche Gegenwartsliterat:innen aufhalten.

 

 Das Vermächtnis der Prager deutschen Literatur ist tatsächlich beeindruckend:

 

•             Ranier Maria Rilke: einer der wichtigsten Poeten deutscher Sprache. Geboren 1876 in der böhmischen Hauptstadt und 1926 gestorben – gerade mal zwei Jahre nach Kafka.

 

•             Gustav Meyrink (1890-1932): Kam von Wien nach Prag und war fasziniert von den düsteren Straßen aus Kopfsteinpflaster im jüdischen Ghetto. Das Ghetto dient als Szenerie für sein mystisches Meisterwerk "Der Golem“.

 

•             Franz Werfel (1890-1945): Werfel war Journalist, Autor und Freund Kafkas. Er wird oft als Erfinder des Expressionismus bezeichnet.

 

•             Egon Erwin Kisch (1885-1948): Kisch war ein umtriebiger und begeisterter Journalist und bekennender Kommunist. Er beleuchtete die Prager Gassen und Nächte und seine Reportagen führten ihn später in die entlegensten Winkel der Erde.

 

•             Max Brod (1884-1968): Franz Kafkas engster Freund. Er ignorierte Kafkas Wunsch, seine unveröffentlichten Werke zu verbrennen.

 

•             Leo Perutz (1882-1957): Mit dem fantastischen Pragroman „Nachts unter der steinernen Brücke“ hat Perutz sich und seiner Geburtsstadt ein literarisches Denkmal gesetzt.

 

Das gegenwärtige Judentum in Prag

Wir heute Prag besucht kommt kaum umhin, auch Josefov, das alte Jüdische Viertel zu besuchen, das in der Verlängerung des Wenzelplatzes liegt. Von den zahlreichen Synagogen früher sind heute noch einige wieder zugänglich, ebenso der alte jüdische Friedhof. Bis zur systematischen Deportation lebten an die 50.000 Jüdinnen und Juden in Prag. Nur 7500 von ihnen überlebten die Shoa und heute wohnen noch 1500 in Prag. Das lokale Jüdische Museum betreut die zahlreichen Sehenswürdigkeiten und präsentiert die jüdische Geschichte der Stadt.

 

 

Bearbeitung: Barbara Vanek
Fotos: Marco Vanek