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zu den verwunschenen bergen nordalbaniens

Im Herbst 2019 reisten wir ins Theti-Tal an der Grenze zu Montenegro. Durch gezielte Investitionen in die Infrastruktur für einen sanften Tourismus kam wieder Leben in das abgeschiedene Dorf.

Mountainbikes, Kletterschuhe oder gar eine Slackline besitzen für viele Kinder in den dünn besiedelten Bergen Nordalbaniens noch Seltenheitswert. Wer hier, in den Bjeshkët e Namuna , den "verwunschenen Bergen" im Dreiländereck zwischen Albanien , Montenegro und dem Kosovo , aufwächst, kennt keine TÜV-geprüften Spielplätze. Die Familien sind zum großen Teil Selbstversorger. Der nächste größere Ort ist Shkodër, drei Stunden Autofahrt auf einer unbefestigten Piste entfernt, die aber bis Sommer 2020 ausgebaut und asphaltiert werden soll.
Im Sommer wachsen Tomaten, Kartoffeln und Zwiebeln auf kleinen Feldern. In den Vorgärten der Gehöfte suhlen sich Schweine. Es gibt kein Krankenhaus, aber eine kleine Dorfschule, die seit kurzem wieder eröffnet wurde. Die Kinder helfen beim Heu machen, sie treiben Ziegen auf die Weide oder gehen schon als Halbwüchsige mit dem Gewehr zur Jagd.

Rund 150 Menschen leben im Sommer in der Streusiedlung Thethi im oberen Shala-Tal, nur ganz wenige von ihnen bleiben auch im Winter. Mächtige, mehr als 2000 Meter hohe Bergriesen aus hellem, verkarsteten Kalkstein umrahmen das Tal. An den Hängen wachsen Laub- und Nadelbäume, mehrere Quellen und der Fluss Shala liefern Wasser in Trinkwasserqualität. Keine Seilbahn erschließt die steilen Berge, erst seit etwas mehr als zehn Jahren gibt es einige markierte Wanderwege. 

 

Diese fast paradiesische Unerschlossenheit der Natur lässt seit einigen Jahren TouristInnen in die nordalbanischen Berge reisen. Sie kommen trotz oder gerade wegen der Abgeschiedenheit der Region. Noch bewegen sich die Zahlen auf überschaubarem Niveau, doch der Trend geht deutlich nach oben: Kamen im Jahr 2006 nur 300 Besucher nach Thethi, waren es 2010 bereits 8.500 Touristen, 2018 waren es schon mehr als 30.000, etwa 90 Prozent davon aus dem Ausland.

 

Vision des ökologischen Individual- und Wandertourismus

Über 50 Privathäuser gibt es mittlerweile in Thethi,  die Gästebetten anbieten. Eine Übernachtung mit üppiger Verpflegung kostet um die 30 Euro. Die Herbergen sind auf Initiative der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ( GIZ ) entstanden. Etwa 2.000 Euro Unterstützung hat jede Familie erhalten, die ihr Haus für Touristen modernisiert und zum Beispiel eine Toilette mit Spülung installiert hat. Das Ziel der GIZ ist ehrgeizig: Der Tourismus soll den DorfbewohnerInnen eine wirtschaftliche Perspektive geben und gleichzeitig die Unberührtheit der Natur bewahren. Die Vision ist nachhaltiger, ökologisch sinnvoller Fremdenverkehr, der auf die Nische der Individual- und Wanderurlauber setzt.

 

Vom Pass Quafa e Thores nach Thethi

In den 30er Jahren war es Mussolini, der aus strategischen Gründen in einzelnen Regionen Albaniens Straßen bauen ließ. Damals bekam auch Theti eine befestigte Verbindung nach Shodra, der regionalen Hauptstadt. Seit damals wurde an der Straße nicht viel mehr verändert. Mit Unterstützung der Europäischen Union wird nun aber die Fahrbahn asphaltiert und teilweise verbreitert. Im Sommer 2020 soll die neue Straße bis hinunter ins Dorf befahrbar sein.
Von Shodra sind es etwa 85 km bis nach Theti. Die letzten 15 km sind bisher noch Schotter. Trotz Allrad-Fahrzeug geht es nur langsam voran. Bei Gegenverkehr müssen die Fahrer auf ihre Fahrkünste setzen. 
Doch ganz unumstritten ist der Straßenneubau im Dorf nicht. Viele befürchten, dass sich durch die touristische Erschließung der ursprüngliche Charakter des Dorfes nachteilig verändern wird. Viele TouristInnen seien doch gekommen, um die Einfachheit und die Natur zu genießen und nicht Latte Macchiato, Wellness und weiche Betten. Direkt am Pass entstehen schon touristische Einrichtungen, die viele unten im Tal ablehnen, etwa ein Hüttendorf an einem künstlichen See und zahlreiche Imbiss-Buden...

 

Gute Infrastruktur fürs Wandern

Mittlerweile gibt es zahlreiche markierte Wanderwege, die beinahe alpinen Standard haben, bewirtschaftete Almen, die Imbisse und Getränke anbieten, befestigte Bachübergänge. Wer sich in Thethi niederlässt, kann gut und gerne eine Woche lang in verschiedene Richtungen aufbrechen und sich mit Karte oder Alpenvereins-App durchs Gelände bewegen. Die auf Alpenvereinaktiv eingezeichneten Wege sind meist genau und überwiegend verlässlich. Nur: Handyempfang gibt es im Tal kaum. In den Quartieren gibt es Festnetz und meist langsames Internet über WLAN.

 

Nationalpark Thethit

Der Nationalpark Theth (albanisch Parku Kombëtar Thethi) ist ein Nationalpark im Norden Albaniens. Er erstreckt sich rund um das Dorf Theth . Der Nationalpark umfasst eine Fläche von 2630 Hektar und wurde 1966 gegründet. Er schützt eine Bergwelt mit Bergwäldern, endemischen Pflanzen und Wildtieren. Das eindrückliche Gebirgspanorama mit hohen Felswänden – die Südwand des Arapi gilt als höchste Felswand der Balkanhalbinsel - und einigen von Albaniens höchsten Bergspitzen wie die Jezerca und die Radohima machen den Nationalpark auch zum touristisch interessanten Gebiet. Sehenswert: der über 30m lange Wasserfall von Grunas oder das Blue Eye, ein kleiner tiefblauer See...

Text und Fotos: Marco Vanek